Die Konsequenzen von „Konsequenzen“

von Teresa Pitman

Es ist der erste Tag des Sommerlagers, bei dem meine Tochter Lisa als Betreuerin arbeitet, und während der Lagerleiter die Kinder hinsetzt, hört sie zu, wie er die „verbotenen“ Verhaltensweisen auflistet und die Konsequenzen schildert, die beim Brechen der Regeln folgen werden.

Lisa erzählt mir, dass nach dieser Einführung ein kleiner Junge, den Tränen nahe, sagt: „Ich werde mir nie alle Regeln merken können!“ Ein anderer beginnt ein Kind zu hauen, das neben ihm sitzt, und das nur Sekunden nachdem er gewarnt worden war, welche Konsequenzen dieses Verhalten mit sich bringt. Alle Kinder sind ruhelos, ängstlich – und wesentlich weniger enthusiastisch darüber, im Lager zu sein.

Es erinnert mich an die Zeit, als Lisa und ihre Brüder noch klein waren, und vor Familienausflügen konfrontierte ihr Vater sie mit einer ähnlichen Liste von Vergehen und Konsequenzen. Die Kinder erfüllten dann seine Erwartungen: Immerhin, wenn Erwachsene es auf sich nehmen, sich eine Liste mit Verhaltensweisen und entsprechenden Konsequenzen für jedes Verhalten auszudenken, fühlt jedes vernünftige Kind, daß von ihm oder ihr erwartet wird, solche Verhaltensweisen zu zeigen.

Trotz der Beliebtheit von Konsequenzen habe ich mich nie wohlgefühlt mit dieser Vorgehensweise. Es kollidiert mit meinen Überzeugungen über den natürlichen Wunsch von Kindern, das Richtige zu tun – mit Jean Liedloffs Worten: „Kinder, weit davon entfernt, sich widerspenstig zu verhalten, sind von Natur aus zutiefst sozial.“ Ich habe ebenfalls mit Pflegeeltern und anderen gearbeitet, die Kinder betreut haben, die missbraucht und traumatisiert wurden, und den meisten (Betreuern) war beigebracht worden, Konsequenzen und andere Formen der Verhaltensmaßregelung zum „Korrigieren“ der Kinder einzusetzen. In den Eltern-Workshops, die ich mit diesen Gruppen durchgeführt habe, herrschte eine fast totale Übereinstimmung darüber, daß trotz aller Theorie Konsequenzen nicht funktionieren. In der Tat scheinen sie mehr schädlich als hilfreich. Die Technik funktioniert wie folgt: Dem Kind wird gesagt, dass es „wählen“ kann, wie es sich verhalten will, und dass „Konsequenzen“ aus seiner Wahl resultieren werden. Der Elternteil oder Betreuer beschreibt dann die Konsequenzen der „falschen“ Wahl – in sein Zimmer geschickt zu werden, eine unliebsame Aufgabe oder Arbeit verrichten zu müssen, alleine sitzen zu müssen, den Entzug eines Spielzeuges oder Privileges, usw.

Konsequenzen können auch eingesetzt werden, wenn das Kind schon dabei ist, etwas zu tun, was der Elternteil nicht mag. Dann wird ihm gesagt, dass es beim Fortsetzen dieser Verhaltensweise eine negative Konsequenz in Kauf nehmen muss, oder es hat die Wahl aufzuhören und es zu vermeiden.

Oberflächlich betrachtet wirkt dieses Vorgehen wie eine natürliche Weise der Kinder, zu lernen. Das Kleinkind läßt ein Spielzeug fallen und konsequenterweise fällt es zu Boden. Es lernt die Auswirkungen der Schwerkraft kennen. Oder ein Vorschüler läuft im Winter ohne Jacke raus, merkt wie seine Arme und Hände kalt werden, und lernt somit, daß Schnee auf dem Boden kalte Temperaturen bedeutet.

Aber die Ähnlichkeiten sind mehr Illusion als Wirklichkeit.

Während Schwerkraft und Wetter naturgegeben sind, sind die Konsequenzen, über die wir sprechen, erdacht und dem Kind von den Erwachsenen in seinem Leben auferlegt. Das Kind sucht bei den Erwachsenen Hinweise, wie es sich verhalten soll, und dieses Vorgehen verrät ihm, dass ’schlechtes‘ Verhalten erwartet wird – so muss es sein, da die Erwachsenen Pläne dafür haben.

Der Wolf im Schafsfell …

Trotz des Namens sind Konsequenzen in Wirklichkeit Bestrafungen. Der Elternteil versucht, das Kind zu zwingen zu tun was der Elternteil will, indem er es unangenehm macht, etwas anderes zu tun. Ich höre verärgerte Sozialarbeiter und Erzieher zu den Kindern, die sie betreuen, sagen: „Das wird Konsequenzen für dich haben, die du nie vergessen wirst!“ Den Namen zu ändern, ändert nichts daran, was es ist, und Kinder wissen das. So zu tun, als ob die Konsequenzen des Kindes freier Wille sind – es hat die Bestrafung gewählt – ist unglaublich unehrlich. Auf diese Weise wird dem Kind die Schuld gegeben, obwohl es schon bestraft ist: “ Nun, du hast dir ausgesucht in der Pfütze zu spielen, deshalb mußt du auch die Konsequenzen tragen und alle Schuhe putzen.“ Zu Wut und Ärger, die es verspüren mag wegen der Bestrafung, kommt noch ein verwirrendes Gefühl der Schuld, daß es sich das selbst eingebrockt hat. In seinem Herzen jedoch, weiß er (sie), dass es die implizierten Erwartungen der Erwachsenen in seinem Leben erfüllt hat.

Ein Teil der erfundenen Geschichte (dieses „so tun als ob“) ist die Behauptung, dass dieses „logische“ Konsequenzen sind, die sich aus der Wahl des Kindes ergeben: „Tut mir leid, Joshua, du hast dir ausgesucht, zu spät zum Abendessen zu kommen, deshalb bekommst du nichts zu essen bis zum Frühstück morgen.“ Eine logischere oder natürlichere Konsequenz könnte sein, daß Joshua sich sein Abendbrot selbst zubereiten muss oder etwas Aufgewärmtes essen muss, aber viele Eltern möchten etwas „schmerzvolleres“. Deshalb geht Joshua hungrig zu Bett.

Aber was passiert, wenn am nächsten Abend die Mutter zu spät von der Arbeit kommt und das Abendessen versäumt? Erzählt der Vater ihr, daß die Konsequenzen ihrer Wahl darin bestehen, dass sie kein Essen bis morgen früh bekommt? (Nicht wenn er mit ihr verheiratet bleiben will!) Nein, vermutlich hat er eine Portion für sie aufgehoben und wärmt sie auf, sobald sie heim kommt; das Äußerste wäre, dass sie sich selbst ein Brot machen oder ihr Essen selbst aufwärmen müsste. Und sicherlich wird Joshua die Ungleichheit in der Art, wie seine Mutter im Vergleich zu ihm behandelt wird, nicht entgehen.

Ebenfalls ist die Präsentation einer falschen Wahl für Kinder, die herausfinden wollen, welche Verhaltenweise erwartet wird und angebracht ist, sehr verwirrend. Eine meiner Freundinnen sagte ihren jugendlichen Töchtern, dass, wenn sie länger als von ihr erlaubt ausblieben, sie am nächsten Tag verschiedene Hausarbeiten verrichten müssten. Das wäre die Konsequenz. Sie nahmen ihre Aussage für bare Münze und verhielten sich so, als ob die Mutter ihnen eine wirkliche Wahl gegeben hätte: Sie blieben so lange aus wie sie wollten und verrichteten Hausarbeiten am nächsten Tag. Die Mädchen konnten gar nicht verstehen, warum ihre Mutter so böse auf sie war.

Der Preis der Konsequenz – herbeigeführte Fügsamkeit

Manchmal, wenn Eltern die Probleme mit den Konsequenzen erkennen, werden sie statt dessen positive Konsequenzen anbieten – sie belohnen für Verhaltensweisen, zu denen sie anregen wollen. Der Vater erzählt seinem Kleinkind: „Hör auf zu weinen und du bekommst einen Keks.“ Das Kleinkind schluckt seine Tränen runter und nimmt den Keks. Aber nach zehn Minuten ist der Keks gegessen und es weint wieder. Die eigentliche Ursache warum es weint (vielleicht ist es müde; frustriert, weil es nicht in der Lage ist sich verständlich zu machen; seine Mama vermisst; gestresst durch die Ankunft eines neuen Babys in der Familie; oder eines von hundert anderen Dingen) bleibt unberührt. Und Kinder kapieren schnell, dass positive Konsequenzen oder Belohnungen ebenfalls manipulativ sind. Wenn wir einem Kind ein Geschenk versprechen, wenn es ein Buch liest, wird Lesen dadurch attraktiver? Nein. Die Botschaft, die ein Kind damit erhält ist, dass Lesen als Beschäftigung so unangenehm und nicht erstrebenswert ist, dass Erwachsene Kinder bestechen müssen, damit sie es machen.

Konsequenzen beschränken sich auch komplett auf Verhaltensweisen und ignorieren die Bedürfnisse eines Kindes. Pflegeeltern berichten mir, dass dies eines ihrer größten Frustationen beim Gebrauch dieser Technik bedeutet. Sie schicken, zum Beispiel, ein Kind als Konsequenz in ein anderes Zimmer, jedesmal wenn es schreit, und irgendwann wird es vielleicht aufhören. Aber dann beginnt es, andere Kinder zu beißen. Eine neue Konsequenz könnte dieses Verhalten unterdrücken, aber dann foltert es die Katze. Keine dieser Strategien ist zu dem eigentlichen Problem vorgedrungen: Die Wut und unausgedrückten Gefühle, die dieses Kind lösen muss.

Stellen Sie sich vor, Konsequenzen auf diese Weise bei einem Baby zu benutzen, das schreit. Sie beschließen, dass Schreien eine „unangemessene Verhaltensweise“ ist und das die Konsequenz sein muss, das Baby in ein anderes Zimmer zu legen, alleine, jedesmal wenn es schreit. Es wird wahrscheinlich irgendwann aufhören zu schreien. Es wird aufgeben und es wird den Anschein haben, dass die Konsequenz sein Ziel erreicht hat. Aber der Preis ist hoch. Es hat gelernt, dass sich keiner um seine Bedürfnisse kümmert und seine Schreie nach Hilfe und Pflege keine Beachtung finden.

Alternativen

Um von den Konsequenzen, Belohnungen und anderen „Verhaltensmaßregelungen“ weg zu kommen, kann es hilfreich sein, mehr an ein Miteinander mit Ihren Kindern zu denken, als ans Kontrollieren. Leider finden es viele von uns schwer, Vertrauen in unsere Kinder zu haben. Wir befürchten, dass, wenn wir sie nicht zu akzeptierbarem Verhalten drängen, überreden oder zwingen, sie niemals lernen werden, kooperativ oder verantwortungsvoll zu sein. Dies ist vermutlich eine Botschaft aus unseren eigenen Kindheitserlebnissen und wurde vertieft durch Druck seitens anderer Erwachsener. Aber Liedloffs Erfahrungen und die vieler Eltern zeigen, dass genau das Gegenteil zutrifft. Wenn wir versuchen aufzuhören zu kontrollieren und das Verhalten unserer Kinder zu maßregeln, wird ihr angeborener Wunsch, unseren Beispielen zu folgen, zum Vorschein kommen. (Anmerkung: „Kontrolle“ in diesem Sinne ist ganz klar verschieden von dem elterlichen Selbstvertrauen, beschrieben in Jean Liedloffs Artikel „Wer übernimmt die Führung?„)

In diesem Jahr hat meine Tochter eine kleine Gruppe von Kindern in einem Ferienlager betreut und sie war in der Lage, eine Vorgehensweise „ohne Konsequenzen“ auszuprobieren. Anstatt erwartetes Fehlverhalten mit ihnen vor Ausflügen durchzugehen, geht sie einfach mit ihnen weg. Wenn ein Kind einen Fehler macht, wie zu lautes Sprechen an einem Ort, wo Ruhe erwartet wird, lässt Lisa das Kind sanft und ruhig wissen: „Andrew, wir müssen hier wispern, da andere Leute lesen.“

Die meiste Zeit allerdings beobachtet sie, wie die Kinder bei ihr nach Hinweisen suchen, wie sie sich verhalten sollen. Wenn sie in ein Gebäude geht und dort still wartet, werden sie das Gleiche tun – ohne, daß sie ein Wort sagt. Manchmal wird eins oder mehrere von ihnen zu viel Energie oder Anspannung verspüren, als dass es ruhig stehen kann, dann hilft sie ihnen, damit fertig zu werden. Eins muss vielleicht hochgehoben und getragen werden, ein anderes muss vielleicht reden, wieder ein anderes will sich vielleicht bewegen – so hilft Lisa jedem, einen Platz zu finden, wo Bewegung in Ordnung ist. Sie respektiert ihre Bedürfnisse und die Kinder folgen Ihrem Vorbild (meistens), ihre begründeten Forderungen respektierend.

Während es oberflächlich gesehen wirkungsvoll erscheint, Konsequenzen durchzusetzen, hören Kinder die tieferliegende Botschaft jedoch deutlich. Es sagt ihnen, dass erwartet wird, sich nicht zu benehmen, und wenn sie das tun, können sie noch nicht einmal gegen die Strafe Einspruch erheben, da es „ihre Wahl“ war. All dies widerspricht auf katastrophale Weise ihrem Kontinuum, das sie auffordert, bei Erwachsenen nach Vorbildern und Erwartungen zu suchen, die ihr Verhalten leiten.


Zum Englishen Originaltext „The Consequences of ‚Consequences‘“ auf der internationalen Liedloff Continuum Network Seite

Teresa Pitman – Mutter von Matthew (21), Lisa (19), Daniel (17) und Jeremy (13) – hat die Prinzipien des Kontinuum Konzepts in ihr Leben und ihre Mutterschaft integriert. Sie ist eine La Leche League Stillberaterin seit 20 Jahren und alleinerziehend, seit ihr Jüngster 5 Jahre alt war. Teresa ist Autor von Zeitschriftenartikeln, Kurzgeschichten und Büchern, inklusive einer Serie von Elternratgebern, genannt „Steps and Stages“ (Schritte und Entwicklungsstadien), verfaßt mit Holly Bennett. Sie unterrichtet ebenfalls im Schreiben und bildet aus für Kinder-Hilfsgesellschaften in Ontario, Kanada.

Vielen Dank an Nicole Arnoldi für die Übersetzung aus dem Englischen.