Synchronübersetzung des zweiten Bali Videos von Jean Liedloff

Der menschlichen Natur erlauben, erfolgreich zu wirken

Auseinandersetzungsfreie Kinderpflege in Bali

#2: Niki, Donal und Dewa

Vorbemerkung: Die Übersetzung ist nicht wörtlich, sie ist sinngemäß. Längere Sprechpausen sind durch Absätze gekennzeichnet. In diesem Video sind ein Mann und eine Frau mit auf der Tonspur, die den Film mit kommentieren bzw. zwischendurch Fragen stellen. Die Äußerungen der beiden habe ich in getrennten Absätzen in Anführungszeichen gesetzt.

Hier sind wir in einer kleinen Siedlung in Bali, wo ein paar Familien, die miteinander gut bekannt bzw. verwandt sind, gemeinsam leben. Dieser kleine Schleimer hier, der so tut, als würde er den anderen Jungen verhauen, wird von seinen Leuten Niki genannt. Er ist zweieinhalb Jahre alt und hat einen kleinen Bruder, der zehn Monate alt ist, der Donal heißt. Nach einer Weile dort fand ich heraus, dass die Eltern mit den Namen ursprünglich Mickey und Donald meinten, weil sie mal einen Disney-Film irgendwo gesehen hatten. Ich möchte Euch das Leben von Niki und Donal zeigen. Die Siedlung liegt in der Gegen von Janyar. Der Vater von Niki und Donal heißt Dewa und ist Schmied. Er arbeitet zuhause, und Niki hilft ihm oft. Die beiden Söhne sind oft dabei, wo er arbeitet und dürfen gerne helfen, wann immer ihnen danach ist. Ich wollte einfach zeigen, wie die Beschaffenheit ihres Lebens ist, an einem Ort, wo ein völliges Vertrauen in die menschliche Natur von Kindern herrscht, was alle ihre Beziehungen beeinflusst, mit ihrer Familie, mit anderen Kindern, größeren Kindern usw. Hier ist der Vater, der Schmied, der gerade nicht arbeitet. Was ich Euch vor allem zeigen will ist, dass es keine Auseinandersetzungen gibt, keine gegnerischen Seiten wie bei uns, keinen Zwang. Niemand hält die Kinder auf bei dem, was sie tun; niemand gibt ihnen das Gefühl, was sie tun, sei schlecht oder falsch. Und trotzdem wird ihnen nicht viel geholfen; man erlaubt ihnen, selbst zu üben und eigene Initiative zu ergreifen. Sie haben die Erlaubnis, ihr eigenes natürliches Lernen fortzuführen, welches enorm ist; Du siehst, dass es in ihrer Natur liegt, Dinge auszuprobieren, zu testen, Dinge umherzubewegen und allerlei Beziehungen zu Gegenständen und Menschen auszuprobieren. Die Erwachsenen und die älteren Kinder sind einfach dabei, mit einer Haltung des herzlichen Willkommens für die Kleinen, ohne aber viel konkret für sie zu tun.

Donals Mutter tut hier etwas, worüber Margaret Mead in ihren Schriften über Bali berichtet hat, das sie als „Reizen“ bezeichnet hat, wo die Mutter versucht, die Sitzbank wegzunehmen, und das Kleinkind versucht, sie wiederzubekommen. Also kreiere sie ein bisschen Frustration, ein wenig Konkurrenz. Aber Dr. Suriyani, eine balinesische Anthropologin erklärte mir dann, Margaret Mead hätte dabei einen Interpretationsfehler gemacht. Die Balinesen erzeugen durchaus ein klein wenig Spannung, aber sie lassen das Kind immer gewinnen. Die Kinder haben dadurch den Effekt, dass sie, sobald sie sich für etwas einsetzen, gewinnen.

Es sind Kinder aller Altersgruppen anwesend, und nie sah ich ältere Kinder mit den jüngeren ungeduldig sein. Die älteren Jungs empfinden es nicht als Bürde, sondern sie heißen die Kleinen willkommen. und behandeln sie mit viel Zuwendung.

„Es scheint eine natürliche Liebe zwischen den Kindern zu geben, ganz anders als die Konkurrenzhaltung zwischen Kindern in unserem Land.“

Ja. Ich glaube, uns ist kaum klar, wie natürlich es für Kinder ist, aufgeschlossen und herzlich zu sein, gerade etwa für etwas ältere Jungen wie diesen, beschützend, behütend für Kleinere zu sein. Denn wir haben solch einen Rahmen, solch ein Gefüge von Auseinandersetzung, soviel Entzug und Entbehrung in der Erfahrung der Babys von ganz früh an, dass wir soviel Eifersucht, Neid und Konkurrenzdenken haben, welche dann normal bei Kindern zu sein scheinen. Wie wir hier sehen, ist das überhaupt nicht natürlich, denn wenn es natürlich wäre, dann wären diese beiden auch so miteinander, genauso die Yequana und die Sanema-Indiander, von denen ich in meinem Buch berichte. Keine von denen stehen in Konkurrenz miteinander. Wenn Du nach Gründen für Geschwisterrivalität suchst, dann sieh´ Dir an, wie ein neugeborenes Kind z.B. mehr Zuwendung bekommt als ein älteres Kind bekommen hatte, wonach es aber immer noch Sehnsucht hat. Wenn das kleine Kind kommt und mehr körperliche Aufmerksamkeit bekommt, dann fühlt das ältere Kind sich eifersüchtig, mordlustig, und man kann sich vorstellen, dass die natürliche Zuwendung sich erst einmal nicht zeigt. Natürlich behandeln wir Kinder auch so, als wenn sie nicht herzlich und fürsorglich wären. Wir vertrauen Kindern nicht dabei, sich um Babys zu kümmern, aber man kann ihnen durchaus vertrauen; es ist eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen, wenn sie in ihrem natürlichen Zustand sind.

Wir folgen also Niki und Donal durch ihr tägliches Leben, in einer Atmosphäre völliger Unterstützung von Vertrauen. Vor allem denke ich, das wichtigste ist das Gefühl von bedingungslosem Willkommensein, das so vielen Kindern bei uns fehlt.

„Wie steht es mit einer gesunden Konkurrenz? Gibt es Raum für Kinder, gesunde Konkurrenz zu lernen und zu üben?“

Nein, interessanterweise. Was wir als gesunde Konkurrenz bezeichnen und positiv bewerten, wo wir sagen „Das ist ein tolles Kind, es ist so konkurrenzbewusst“, gibt es an vielen Orten nicht. Nach allem, was ich über die menschliche Natur gelernt habe, nachdem ich all die Jahre im südamerikanischen Dschungel verbracht habe und in Bali, wo ich die menschliche Natur in ihrem besten Zustand kennenlernen konnte, muss ich feststellen, dass es so etwas nicht gibt. Glaube es oder nicht, diese Konkurrenz existiert da einfach nicht, Jugendliga oder sowas.. Die Yequana spielen zum Beispiel ein Spiel, dass ich „Yequana-Badminton“ nenne, wo sie mit Schlägern Federbälle in der Luft halten, und es geht einfach nur darum, die Objekte in der Luft zu halten und es nicht auf den Boden fallen zu lassen. Entweder es gewinnen alle, wenn sie sie lange in der Luft halten können, und sie sind alle enttäuscht, wenn sie schnell runterfallen, aber es gibt kein „Wir gegen die anderen“. Sogar wenn sie ringen, gibt es keinen Champion, dann ringen sie einfach. Gut, einer hält den anderen schließlich am Boden fest, und es gibt so etwas wie einen Sieg, aber die ganze Atmosphäre hat nichts von Konkurrenz, Gewinnen und Verlieren, besseren und schlechteren Leuten. Beim Ringen möchte man glauben, wäre das unausweichlich, aber irgendwie sind trotzdem alle fröhlich, alle lächeln. Wenn Du fragst „Wer ist gut im Ringen?“ dann zeigen sie vielleicht auch auf jemanden, aber das hat nichts von einem Champion. Wir glauben nur, dass Konkurrenz ein Teil der menschlichen Natur ist, und wir irren uns. Das ist eine Sache, wie viele andere Sachen, wo wir uns ganz einfach irren. Wir erzeugen Erfahrungen in Kindern, die sie wütend und konkurrenzbewusst machen. Dann behaupten wir, es sei natürlich. Unglücklicherweise ist es bei uns normal, und das halten wir irrtümlich für natürlich. Ich finde es sehr dankenswert zu sehen, dass es nicht natürlich ist. Natürlich ist die Zuwendung und der Beschützerinstinkt, den diese Kinder haben. Kinder wollen für Babies sorgen. Sie wollen sie nicht verprügeln, sondern sie umhertragen und sich um sie kümmern. Das ist einer der stärksten Impulse in Kindern. Sie lieben es, sich um Babies zu kümmern.

„Ich stelle mir vor, wenn man schon von Grund auf gut und OK ist, dann verspürt man keine Notwendigkeit mehr zu konkurrieren, um besser zu sein als andere.“

Ja, genau.

„Vielleicht erzeugen wir die Konkurrenz auch nur, um etwas zu haben, worüber wir uns gut fühlen können, weil wir uns nicht grundlegend gut fühlen.“

Naja, ich glaube, teilweise ist es, um die Wut loszuwerden, die wir anderweitig nicht zeigen können, die von den Auseinandersetzungen mit diesen riesigen Eltern kommt, die wir wirklich nicht bekämpfen können. Deshalb kommt die Wut gegenüber Kleineren zum Vorschein. Es ist auch Eifersucht. Außerdem gibt es eine Erwartung von Konkurrenz, die eine Struktur vorgibt, wo man die Aggressionen hinlenken kann. Aber wir setzen voraus, dass die Wut von Anfang an da ist, und ich sage, das ist sie nicht. Sie kommt davon, dass die Kinder die für sie notwendigen Erfahrungen entbehren und davon, dass wir sie ungeeigneten Erfahrungen aussetzen.

In meinen Jahren mit den Indianern im Dschungel, und auch hier auf Bali, habe ich niemals Konkurrenzverhalten zwischen Kindern beobachtet. Also denke ich, wenn es von Anfang an da wäre, dann hätte ich es gesehen. In Bali wäre mir das sofort aufgefallen, aufgrund meiner Dschungelerfahrung.

Ich sehe einen grundlegenden Respekt hier. Wenn Du jedes einzelne Kind, jeden einzelnen Erwachsenen siehst, die Kinder miteinander beobachtest oder mit den Erwachsenen, so zeigt jeder grundlegenden Respekt, auch mit unserem Beispiel Niki hier, mit dem Dekolletee auf der Rückseite (Anspielung auf die rutschende Hose, welche die Pobacken freilegt, Anm. d. Üb.).Du siehst den Respekt von jedem in ihrer Haltung gegenüber den Kindern, dass das Kind OK ist, ganz in Ordnung, dass es nicht gestoppt werden muss, diszipliniert, gezwungen, bekämpft, gezähmt, sozialisiert usw. Sie wissen, dass das Kind bereits gut und sozial ist. Die Interaktion ist nur dazu da, das Kind in dem zu unterstützen, was es bereits ist, nicht dazu, es zu irgendetwas zu machen, was es nicht ist.

„Er hat seine Hose runtergezogen“

Es ist noch nicht lange her, dass sie angefangen haben, Hosen zu tragen.

„Was ist das für ein Spiel?“

Ich weiß nicht genau, es sieht aus wie Domino auf Karten. Später kommt eine gemischte Gruppe von Kindern verschiedenen Alters zusammen, und sie spielen dieses Spiel. Das ist Donal hier, zehn Monate alt, der noch nicht angefangen hat zu laufen. Auf welches Kind er immer auch stößt, alle zeigen einen starken Mutterinstinkt, wenn ich das so nennen kann, alle Jungen und Mädchen. Die einzige Beziehung, die Du zu so einer kleinen Person haben kannst, ist eine mütterliche, beschützend, kümmernd, zugewandt, gebend; Du kannst nicht erwarten, dass er etwas für Dich tut, das ist eine einseitige Sache, aber alle lieben es, das zu tun, weil Donal so anziehend ist. Es liegt in der Natur von Kindern, auf diese Anziehungskraft von Babies zu reagieren, sich um sie zu kümmern und es zu lieben, mit ihnen zusammen zu sein.

„Wenn ich nochmal auf die Konkurrenz zwischen Kindern zurückkomme, selbst wenn wir bei uns eine nährende und liebende Umgebung schaffen, sobald die Kinder in die Schule kommen, finden sie sich mitten in heftigster Konkurrenz wieder und in Gemeinheit. Wie kann man damit umgehen?“

Das habe ich gesehen. Als mein Buch in England herauskam, gab es einige Menschen, die versuchten zu tun, wie ich es vorschlug, die Kinder zu halten, 24 Stunden lang zu tragen, es auch von anderen halten zu lassen, es müssen nicht die ganze Zeit die Eltern sein, nur dass das Kind immer Körperkontakt hat, bis es beginnt zu krabbeln. Irgendwann gingen die Eltern dann mit den Kindern in Spielgruppen, so ab 18 Monate alt, und sie nannten sie „Kontinuum-Kinder“, weil viele Leute halt Jargon lieben, ich mag Jargon allerdings nicht. Diese sogenannten Kontinuum-Kinder schlugen andere Kinder nicht, obwohl alle anderen Kinder schlugen, und auch die K-Kinder selbst wurden gelegentlich geschlagen, aber ihnen war selbst nicht danach, weil sie einfach keine Wut hatten. Die Eltern sagten dann „Mein Kind ist das einzige in der Spielgruppe, das nicht schlägt.“ Dann , ein paar Monate später, rief jemand plötzlich eine Frau aufgeregt an und sagte „Ohje, mein Kind hat ein anderes geschlagen! Mein Kontinuum-Kind hat in der Spielgruppe jemanden gehauen!“ Zum Glück hatte ich die Geistesgegenwart zu fragen „Sah der Junge dabei wütend aus?“ Sie dachte nach und sagte „Nein.“ Ich fragte „Sehen die anderen Kinder in der Gruppe wütend aus?“ Sie antwortete „Ja, das tun sie.“ Ich sagte „Nun, möglicherweise lernt Dein Kind einfach nur, wie „man“ es macht. Es schlägt nicht aus Wut und Frustration, sondern deshalb, weil es ihm scheint, dass dieses Verhalten das richtige und übliche ist. Und da ist ein großer Unterschied, jemanden aus Frustration und Wut zu schlagen, oder es zu tun, weil alle es machen und weil es wie eine Art Spiel erscheint. Und wenn es diesen Kindern keiner vormacht, dann würden sie auch nicht schlagen, weil sie nicht wütend sind.

„In Deinem Buch über die Yequana schreibst Du über ein Kind, das Erfahrungen außerhalb des Stammes gemacht hatte und dann zurückkam und andere Kinder schlug, und die anderen Kinder reagierten darauf wie Baumzweige, es wurde gar nicht als aggressives Verhalten wahrgenommen.“

Ja, das war Wididi. Durch diese einzige Ausnahme wurde vieles noch klarer. Wididi war aus irgendwelchen Gründen anderen Erfahrungen ausgesetzt worden. Die Eltern waren die einzigen, die etwas hatten, was man als „Auslandserfahrung“ bezeichnen könnte. Seine Mutter war die einzige im Stamm, die Taripan sprach, die Sprache eines anderen Karib-Stammes weiter östlich, und der Vater war der einzige, der ein rudimentäres Spanisch sprach; er war ein älterer Mann und hatte in der Zeit des Gummi-Booms gearbeitet und wurde der ungewählte Chefübersetzer. Ich weiß nicht wie, aber etwas in der Erfahrung der Eltern veranlasste sie dazu, mit Wididi als Kleinkind irgendetwas anzustellen, das ihn dahin brachte, als einziges Kind im Stamm etwas zu haben, das im entferntesten einem Wutanfall ähnelte; es war kein richtiger Wutanfall, kam dem aber nahe. Er war das einzige Kind, das ich dort je weinen und schreien sah. Als er etwa zwei war, sah ich ihn andere Kinder schlagen. Ich glaube auch, als er fünf war, den Zeitpunkt weiß ich jetzt nicht auswendig, schlug er auch wieder andere Kinder. Als sein Vater starb, übernahm Anchu, der Häuptling, einen Teil der Vaterrolle und ließ Wididi ihm folgen und hatte ihn um sich, war sein Führer. Wididi hatte so etwas wie einen hysterischen Anfall, als Anchu zum Jagen ging und Wididi wusste, dass von ihm erwartet wurde, mitzukommen. Stattdessen fing er an zu hyperventilieren, zu schreien und zu weinen. Anchu sagte kein Wort zu ihm, er sammelte nur seine Pfeile und Bogen zusammen und bereitete sich vor. Dann ging er los in den Dschungel. Wididi, auf sich allein gestellt, ohne einen Blick, ohne jegliche Beurteilung oder ein Wort von Anchu, schrie, weil er innerlich zerrissen war zwischen dem Wunsch, etwas Geselliges zu tun und mit Anchu zu gehen und dem Wunsch, es nicht zu tun. Anchu ließ ihn damit sein und überließ es ihm, sein eigenes, angeborenes soziales Wesen zu entdecken, seinen eigenen Wunsch, am geselligen Leben der anderen teilzunehmen. Aber ich verstand damals die Situation nicht, ich verstand sie erst im Rückblick, ich tat das Falsche, ich nahm den kleinen Wididi bei den Schultern, weil ich sah, in welchem inneren Konflikt er sich befand und sagte: „Geh, lauf´ Anchu hinterher!“ und ich rief Anchu hinterher, er solle warten. Anchu hörtemich sehr gut, aber er ging einfach weiter; er wollte auch mir zeigen, dass ich das Falsche tat. Vielleicht würde Wididi beim nächsten oder beim übernächsten Mal entscheiden, das Geselligere zu tun, aber das war seine Sache, nicht meine. Anchu vertraute Wididis angeborenem Sozialverhalten, unc ich tat das nicht. Wie Du gerade sagtest, als Wididi zwei Jahre und fünf Jahre alt war, schlug er ein anderes Kind. Das betroffene Kind, das so etwas überhaupt nicht kannte, sah ihn einfach nur an, als könnte das nur ein Unfall gewesen sein, als wäre es in einen Zweig gelaufen oder so. Nie schlug jemand Wididi zurück, niemand betrachtete es mit Wut, mehr wie „Oh, was war das? Keine Ahnung.“ Das ist ihnen so fremd, dass ein Einzelner, der sich ungewöhnlich verhielt, keine Bedeutung für sie hatte. Ganz klar war es in dieser Umgebung nur eine Frage der Zeit, bis Wididi sein eigenes Kontinuum-Selbst finden würde, ohne die Idee, er sei schlecht, denn dort gibt es die Idee von einem „schlechten Kind“ nicht. Schließlich, mit Anchus Hilfe, fand er sein Selbst. Als ich Wididi zuletzt sah, war er Vater. Es ging ihm gut, er war nett und ruhig, glücklich.

Ich denke, diese Kontinuum-Stämme in Südamerika und Bali haben etwas verstanden, was wir nicht so gut verstanden haben: Kinder lernen am effektivsten, wenn niemand sie belehrt. Es klingt radikal, aber Belehren kann der ärgste Feind des Lernens sein. Ein Beispiel zu geben ist natürlich sehr wichtig, aber Belehren, zu versuchen, das Kind gezielt und gerichtet zum Lernen zu bewegen, motiviert durch den Lehrer, nicht durch den Lernenden, ist einfach nicht effektiv. Die Idee, dass ein Kind nicht lernt, wenn man es nicht dazu bringt, basiert auch wieder auf einem Misstrauen gegenüber der Natur. Es gibt keinen stärkeren Lernschwamm als ein Kleinkind.

Donal krabbelt schon, er ist kurz vor dem Laufen, läuft aber noch nicht richtig. Das hinter ihm ist seine Mutter.

„Du sagtest etwas darüber, wie die Eltern den Sigalen des Kindes trauen und folgen, so wie wir ihnen nicht trauen; wenn das Kind etwa getragen werden will, so glauben wir, es wolle manipulieren oder uns kontrollieren, während diese Eltern den Signalen des Kindes folgen, darüber, was es braucht und es ihm geben, so dass es seinen nächsten Entwicklungsschritt machen kann.“

Das ist ein großes Thema, Kinder, die ihre Eltern kontrollieren wollen, das ist ein spezielles Thema, das nicht ganz hierher gehört. Man sollte den Signalen des Babies und seiner Natur trauen, aber ein Teil dieses Vertrauens ist auch, nicht ständig etwas für das Baby zu tun. Ich mache sozusagen Regeln, obwohl das Konzept von Regeln wohl nicht so toll ist, aber so eine Art Regeln: Die erste und wichtigste ist, dem Kind niemals zu vermitteln, mit Worten, Handlungen oder Gesichtsausdruck, dass es „schlecht“, falsch oder nicht liebenswert sei. Regel Zwei, wenn Du so willst, ist, niemals etwas für das Kleinkind zu tun, was es möglicherweise selbst tun könnte. Von ganz klein auf sind die Kinder dann daran gewöhnt, Dinge für sich selbst herauszufinden, zu erforschen, wie sie etwas für sich selbst tun können.

Du fragtest nach den Signalen. Ich glaube, wo wir am unsichersten sind, sind die Signale des Kindes, mit denen es Aufmerksamkeit kriegen will. Ich glaube, da missverstehen wir auch vieles. Ein Kind, auch ein neugeborenes, signalisiert, wenn es unpassenden Erfahrungen ausgesetzt wird. Schon wenn es geboren wird, und jemand schiebt ihm etwas in die Nase oder in den Hals, wickelt es ein und packt es in eine Kiste, dann schreit es. Es signalisiert Dir, dass diese Erfahrung unpassend ist, nicht auszuhalten, und es schreit um Hilfe. Aber nicht, weil es Aufmerksamkeit will, sondern weil es eine angemessene Erfahrung will. Wenn Kinder etwa in Pflegestätten oder Kindertagesstätten gegeben werden, wo man sie allein schlafen lässt, dann weinen und schreien sie. Das Personal sagt „Die wollen nur unsere Aufmerksamkeit kriegen“. Das stimmt natürlich, weil die Erfahrung für die Kinder falsch ist. Wenn ein Baby aber in den Armen gehalten wird, wenn man es bei sich schlafen lässt, dann braucht es keine gesonderte Aufmerksamkeit die ganze Zeit. Du brauchst ihm dann nicht die ganze Zeit Aufmerksamkeit zu geben, wenn Du es im Arm trägst, sondern etwas anderes tun. Du brauchst es nicht ständig anzusehen und „Gugu“ zu machen. Das Kind braucht nicht die ganze Zeit Aufmerksamkeit, es braucht die richtigen Erfahrungen. Und die bedeuten, mitten in der Action zu sein, in Körperkontakt zu sein, willkommen zu sein, und in der Tragephase, einfach dabei zu sein, wo die Action passiert, im Arm einer lebenden Person, die dabei gleichzeitig seine Energie entlädt, wobei, das ist noch eine andere Geschichte, ein Austausch der Energiefelder, damit das Baby keine inneren Spannungen ansammelt, bis es seine eigenen Energien durch das Krabbeln entladen kann. Bis dahin ist es auf die Entladung der tragenden Personen angewiesen, um sich dauerhaft wohl zu fühlen. Also sollten wir verstehen, wenn die Kinder nach Aufmerksamkeit verlangen, ist es nicht so sehr, weil sie Aufmerksamkeit wollen, sondern weil sie brauchen, was sie gerade brauchen. Tatsächlich ist es gar nicht so gut, wenn Du dem Kind die ganze Zeit die Aufmerksamkeit gibt, es ansiehst und versuchst, ihm zu gehorchen, herauszufinden, was es braucht und will und das Kind Deine Erfahrungen lenken lässt, dann fühlt das Kind sich zunehmend unsicher, weil es den Eindruck bekommt, dass Du nicht weißt, was Du tust. Es hätte viel lieber ruhige, selbstsichere Eltern, die wissen, was sie tun und ihren Aktivitäten nachgehen, mit dem Kind mitten darin und sich nicht von dem Kind lenken lässt. Wenn ein Kind aber das Gefühl hat, es kann Dich aus dem Gleichgewicht bringen und Dich dazu bringen kann, zu tun, was es will, dann ist es fast unmöglich zu widerstehen, zu versuchen, Dich aus dem Gleichgewicht zu bringen, weil es den Ort finden will, an dem Du sicher stehst, damit es sich sicher fühlen kann. Wenn es also so scheint, als wolle das Kind Dich kontrollieren, dann will es nicht Erfolg damit haben, sondern es will Dich so weit treiben, wie es nur geht, bis Du sicher stehst. Und wenn Du sicher stehst und weißt, was Du tust, was auch bedeutet, Dich nicht vom Kind lenken zu lassen, sondern Dich selber lenkst, dann wird das Kind auch viel heiterer und ruhiger und fühlt sich sicher. Es sieht im ersten Moment nicht so aus, aber darum geht es. Wenn Du die ganze Zeit sagst „Gugu, was soll Mami als nächstes machen?“, dann wird das Kind immer wütender, aus dem selben Grund. Je mehr Du es also dem Baby recht machen willst, desto unzuverlässiger erscheinst Du. Wenn Du aber erkennst, dass das Kind Dich nur solange treiben will, bis Du sicher stehst, dann stehst Du gleich sicher. Dann kommt dieser Konflikt gar nicht erst zum Tragen, und das Baby bleibt in einem Gefühl von Sicherheit.

Sehen wir mal, was hier passiert. Offensichtlich inspiziert Donals Mutter gerade seinen Hintern. Und der Hund auch.

Donal kriecht jetzt dorthin, wo das Kartenspiel gespielt wird.Sie spielen mit einer Art Dominokarten. Aber wie Ihr seht, niemand versucht, Donal aus dem Weg zu schieben.

Niemand gibt ihm das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Offensichtlich ist er keine große Hilfe dafür, dass das Spiel reibungslos vonstatten geht. Der Junge, der ihn davon abhält, die Karten wenigstens nicht die ganze Zeit durcheinander zu bringen, tut das mit Zuwendung und nicht sehr überzeugend, ohne das Ziel, Donal wirklich einzuschränken oder Zwang zu gebrauchen. Ein tiefer Respekt ist ständig präsent. Vielleicht probiert man mal, ihn etwas einzuschränken, aber nicht wirklich.

„Er scheint auch nicht abgewiesen zu werden, als unwichtig betrachtet, wie das bei vielen unserer Kinder der Fall wäre mit einem so kleinen Kind, das ein Spiel stört.“

Ja. In keinem Moment wird dieses Kind sein Willkommensein in Frage stellen. Er wird mit dem Gefühl aufwachsen, dass er nicht falsch ist, schlecht, kein lästiges Übel, keine Pest. Auch wenn er in diesem Moment manchen Kindern um ihn herum vielleicht wie eine Pest erscheint, werden sie ihm nicht das Gefühl geben, dass er deswegen eine unwillkommene, unliebenswerte Person ist. Niemand wird ihn bekämpfen oder ihn als unbedeutend betrachten. Sie spielen also einfach um ihn herum, unterbrechen ihr Spiel, aber sie geben ihm nicht das Gefühl, schlecht zu sein, in diesem Alter. Unsere älteren Kinder würden ihn wahrscheinlich einfach hochnehmen und aus dem Kreis heraussetzen. Er würde dann vielleicht weinen und die anderen würden ihm sagen, er solle ruhig sein. Diese Kinder hier machen so etwas aber eher nicht.

Auf welches Kind er auch immer zugeht, er wird liebevoll behandelt, man spielt mit ihm, kuschelt mit ihm, küsst ihn. Ältere Kinder bei uns würden ihn wohl einfach wegschieben. Diese Kinder hier schämen sich nicht ihres liebevollen Mutterinstinktes. Sie fühlen sich richtig damit, und sie gehen alle davon aus, dass Kinder Babies lieben und dass alle Menschen Babies lieben.

„Was wir gerade sahen und was Du dazu gesagt hast, hat mich an etwas erinnert, ein Gefühl, dass ich mich schämte, meiner kleinen Schwester Zuwendung oder „mütterliche“ Behandlung zu geben. Vor fünf Minuten hätte ich noch an ihren Haaren gezogen und sie zum Weinen gebracht, viel eher als mich auf sie zu freuen.“

Erinnerst Du Dich an den Wunsch, Dich um sie zu kümmern?

„Ja, aber ich erinnere mich auch, dass es mir hoch peinlich war, dass ich mich schämte.“

Weil Du ein Junge warst? Ja, das ist leider eine der Botschaften, die wir vermitteln. Das ist stark anders bei den Yequana. Die Jungs, sogar mit 17-19, wenn sie auf die Jagd gehen und zurückkommen, mit Bemalung und Federn, voll von sich selbst, ihrer Jugend und ihrer Ausgelassenheit, dann legen sie Pfeil und Bogen weg und halten Ausschau nach Babies, mit denen sie spielen können. Sie lieben einfach Babies. Das ist das Alter, wo sie Väter werden. Sie sind sehr stark angezogen von Babies, sie werfen sie hoch in die Luft, küssen sie und machen „bububu“. Wir wissen, bei uns ist das verpönt, bei unseren Jungs, und es ist schade, dass sie diese wundervolle Erfahrung vom Ausdruck ihrer eigenen Liebe verpassen, und die Kleinkinder verpassen es auch.

Ihr seht, es gibt ein Minimum an Intervention. Fast als hätten sie für sich die Regel, nicht zu intervenieren. Sie halten es nicht für nötig zu bestimmen, was der Kleine lernen sollte, nicht zu ändern oder zu lenken, was er tut, sofern es keine absolute Notwendigkeit dafür gibt. Grundsätzlich respektieren sie das, was das Kind aus eigenem Impuls tut, und sie vertrauen generell darauf, dass es gut und richtig ist und dass das angeborene Sozialverhalten sich entwickelt, wie es sollte. Das ist der Respekt vor der Natur, Respekt vor der Tatsache, dass all dies hervorragend funktioniert. Nur wir glauben, wenn wir Babies ihrer eigenen Natur folgen lassen, werden sie etwas Schlechtes tun, etwas Unbequemes, Gefährliches oder Asoziales. In der Tat ist genau das Gegenteil der Fall. Die Balinesen glauben, dass man der Natur des Babies trauen kann, also dass grundsätzlich die menschliche Natur gut ist. Wir hätten wohl die Idee, dass das, was Donal gerade tut, etwas Schlechtes ist. Aber wenn Du mal hinsiehst, es ist absolut undenkbar, dass eines dieser Kinder glauben könnte, dieses Baby sei schlecht. Und doch, wenn das bei uns passieren würde, wenn ein kleines Kind ein Spiel unterbricht, würden die anderen ihm die Lektion erteilen, dass es schlecht sei. Nicht nur, dass es etwas Schlechtes tut, sondern, dass es schlecht ist. Man würde es böse angucken und so zu ihm sprechen, dass es das Gefühl bekommt, nicht liebenswert zu sein, nicht gewollt, ganz sicher nicht willkommen. Nicht nur, dass seine Handlung nicht willkommen ist, sondern auch das Kind selbst. Du kannst dem Kind ohne weiteres vermitteln, dass manche seiner Handlungen nicht erwünscht sind. Aber sobald Du ihm gezeigt hast, dass es selbst nicht willkommen ist, dann hast Du etwas Schaden angerichtet. Denn unglücklicherweise ist das Kind so sozial eingestellt, dass es Dir glaubt.

„Kannst Du etwas mehr darüber sagen, wie man dem Kind klarmacht, dass manche Handlungen nicht erwünscht sind, Du sprichst vom Coachen des Kindes, ihm zu zeigen, so machen wir es und so nicht?“

Ich glaube, man sieht das ganz gut hier. Viel davon liegt im Klang der Stimme, wenn man einem Kind Anweisungen gibt. Auch wenn man ihm sagt, tue dies, oder tue es so, dann ist der Tonfall immer so, als wenn das Kind gefragt hätte, wie man das macht, weil die Grundannahme ist, dass das Kind wissen will, wie man es macht. Unsere Grundannahme ist, dass das Kind es auf eine schlechte Weise tun will, und wir müssen es dazu bringen, es zwingen, seine Motivation besiegen, damit es anders handelt. Die Balinesen dagegen sprechen in einem anderen Tonfall und bringen es insgesamt anders rüber; Du kannst hören, dass sie annehmen, dass das Kind es einfach wissen will. Und die Kinder wollen es auch tatsächlich wissen, ihr ganzes Geschäft ist, herauszufinden, wie man es macht bei ihren Leuten. Also teilt ein Assistent, ein Partner, ihnen mit, was wir tun. Sie wollen wissen, was wir tun.

Während ich filmte, war Donals Mutter an dieser Stelle recht beunruhigt darüber, dass ihr Kind von dieser Stufe fallen könnte. Ich fand das sehr unüblich; ich glaube nicht, dass ein Yequana das getan hätte. Vielleicht war sie beeinflusst dadurch, dass ich sie filmte, ich bin nicht ganz sicher, ob sie sonst auch so gehandelt hätte, aber es schien etwas untypisch für ihren Charakter, so übervorsichtig zu sein. Ich fand es interessant zu sehen, als ein paar amerikanische Mütter im Land waren und balinesische Mädchen als Babysitter angeheuert hatten, und diese Mädchen behandelten die Kinder so, wie sie es bei den amerikanischen Müttern beobachtet hatten, nicht so, wie sie ihre eigenen Kinder behandelten, das war schade. Sie waren übermäßig beschützend und nicht vertrauend, als gehörten diese Kinder einer anderen Spezies an und bräuchten es, so behandelt zu werden, das war schade. Das mag vielleicht ein ähnliches Phänomen gewesen sein, dass die Mutter so ängstlich war wegen der Stufe, ich bin nicht ganz sicher, doch es sah mir sehr ungewöhnlich aus. Wahrscheinlich hatten die balinesischen Mädchen auch die Erfahrung gemacht, dass, wenn sie mit den amerikanischen Kindern ebenso zwanglos umgingen wie mit ihren eigenen Geschwistern, deren Mütter nervös wurden. Und so lernten sie, dass die amerikanischen Kinder als ungeschickt zu behandeln seien, als Gefahr für sich selbst, nicht vertrauenswürdig.

Donal kommt, um mich zu sehen, während ich ihn filme. Du kannst sehen, wie sein Leben verlaufen ist, bevor er ein Jahr alt war, wieviel von seiner Kultur er aufgenommen hat, wieviel darüber, wie das Leben ist, als Vorbereitung für das Leben, das er unter diesen Menschen führen wird, und was seine Eindrücke davon sind, dass er Teil davon ist, dass man erwartet, dass er Teil davon ist, dass er sich selbst motiviert, dass niemand ihn dazu anhält, etwas Spezielles zu tun und ihm ein schlechtes Gefühl gibt, wenn er es nicht tut, und dass das, was er tut, mit Zustimmung und Bestätigung aufgenommen wird. Je mehr er tut, desto mehr Zuversicht gewinnt er, nicht umgekehrt.

Das ist sein Vater, der Schmied, und einige seiner Bewunderer, die nicht notwendigerweise mit ihm verwandt sind, sie leben nur in derselben Siedlung.

Dies ist eine ältere Dame aus der Siedlung. So kleideten sie sich, bevor die Touristen kamen und das Bewusstsein veränderten. Früher war es so, sehr graziös, nur den Sarang um die Hüfte und kein Oberteil. Die älteren Frauen, die nicht das Gefühl haben, so viel angestarrt zu werden, kleiden sich weiterhin so, während die jüngeren Mädchen sich wegen der Touristen jetzt anders anziehen.

Hier bekommt Niki eine Menge Unterstützung von den älteren mit seinem Flugzeug, oder was immer das ist.

Sowohl Niki als auch Donal stromern umher, sie gehen von einer Person und einer Aktivität zur nächsten, fast ausschließlich aus eigener Initiative, und wo immer sie hinkommen, werden sie mit Wärme begrüßt, mit Kooperationsbereitschaft und Willkommen.

Dies ist ein Teil der umliegenden Landschaft, in diesem Paradies namens Bali. Hier arbeitet ein Mann in den Reisfeldern. Dies ist ein Wanderweg von der Siedlung von Niki und Donal zur Siedlung der Holzschnitzerfamilie. Dies ist die Art Wanderweg, die die Siedlungen verbindet; es ist sehr unwahrscheinlich, dass Touristen darauf stoßen. Sie sind versteckt zwischen Feldern und Bäumen. Man könnte auf einem Motorroller dorthin gelangen, aber nicht mit dem Auto. Ich wurde begleitet von Familienmitgliedern, die ich in Ubud getroffen hatte, und die mich mitnahmen, um ihre Verwandten zu besuchen.

Hier arbeitet der Vater der beiden, der Schmied. Natürlich sind die Jungs dort willkommen, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass sie ihr Arbeitsleben dort verbringen werden. Sie machen sich vertraut mit den Werkzeugen und Utensilien der Geschäftswelt, sowie mit den dazugehörigen Handlungen. Ihr Vater erhitzt und schärft ein Klingenwerkzeug, das man zum Schneiden von Reis benutzt. Der junge Mann dort ist sein Assistent, der mit den Pedalen das Gebläse für das Feuer bedient. Niki erlebt hier ein Vorspiel auf seine professionelle Zukunft. Er hilft mit, wie Kinder es unvermeidlicherweise tun, wenn sie Aktivitäten beobachten. Auch Donal, obwohl erst zehn Monate alt, sieht sich an, wie man dieses Rad dreht, welches wohl ein Schleifstein ist oder sowas. Hier ist auch ein Amboss, der später ebenfalls zu seinem gewohnten Arbeitsumfeld gehören wird. Also, obwohl er noch nicht einmal laufen kann, beginnt er schon eine kleine Lehre als Schmied. Ich denke, es ist sehr leicht zu sehen, wie Niki, zweieinhalb Jahre alt, irgendwann ein Schmied sein wird, nachdem er in diesem Umfeld gewesen ist seit er so alt war wie Donal oder jünger. Wir können uns fragen, welche Lektion für uns hier drinsteckt, wenn der Vater weggeht zu seinem Büro auf der Wall Street oder an einen anderen Ort, wo Kinder sich nicht so frei aufhalten können. Aber ich denke, wir können uns vorstellen, dass die Kräfte der Evolution und unserer Natur uns vorbereitet haben, so behandelt zu werden, dass wir die Beispiele der Aktivitäten vor uns haben, an denen wir später teilnehmen sollen, von ganz klein auf. Erst guckst Du nur zu, vielleicht aus der Perspektive eines Babies auf dem Arm, und im Krabbelalter wie Donal, darfst Du anfangen, teilzunehmen. In Nikis Alter nimmst Du schon mehr teil. Später helfen sie dann ihrem Vater und werden dann selbst Schmiede, wenn sie wollen.

Ich denke, es ist sehr wichtig, dass irgendeine Art körperlicher Arbeit zuhause stattfindet, auch wenn es nicht der eigentliche Gelderwerb ist, sei es Hausarbeit, Gärtnern, Kochen, irgendetwas, an dem die Kinder teilnehmen können, wobei es aber nicht zentral um die Kinder geht. Nicht so, dass die Kinder spielen und die Erwachsenen sehen zu, das wäre zentriert um die Kinder. Wie es aber sein soll, und was die Kinder auch erwarten ist, dass es um die Erwachsenen zentriert ist und dass die Kinder erst zuschauen, dann imitieren und schließlich mithelfen, was ihre natürliche Reihenfolge ist. Wenn Du aber dasitzt und den Kindern zusiehst und sie fragst „Was würdest Du gerne als nächstes tun, Liebling?“, dann werden sie wütend und frustriert, weil sie wollen, dass Erwachsene wirklich Erwachsene sind und sie nicht fragen, was sie tun sollen; sie wollen, dass die Erwachsenen wissen, was zu tun ist, damit sie ihnen folgen können und imitieren und helfen, soweit ihre Entwicklung das zulässt.

(„Nuschel nuschel“)

Ich glaube, er tut so, als würde er den anderen Jungen verprügeln. Es sieht nicht sehr ernst aus, und der andere Junge spielt seine Rolle willig mit. Genauso wie die anderen beiden Kinder. Es wird nicht als Aggression angesehen. Man geht davon aus, dass es das nicht ist. Da ist auch kein Druck drin.

„Die Erwachsenen scheinen die Kinder nicht sehr stark zu beaufsichtigen.“

Nein, man kriegt nicht das Gefühl, dass die Kinder von den Erwachsenen stark beobachtet werden. Die Erwachsenen kümmern sich weitgehend um ihre eigenen Angelegenheiten. Die Kinder suchen die Gesellschaft anderer Kinder verschiedenen Alters und man vertraut ihnen. An einem Ort, wo es Autos gibt, könnte man die Kinder nicht so frei herumlaufen lassen, außer man wüsste, dass die Kinder verstehen, wo es sicher ist und wo nicht. Als Kind würdest Du aber wissen, wo es gefährlich ist. Dein umfassender Orientierungssinn würde es Dir sagen. Bei vielen Dingen ist die Gefahr offensichtlich. Bei Steckdosen etwa ist sie das nicht; kein Kind könnte erraten, dass die gefährlich sind, also stopft man sie zu, wenn man ein ganz kleines Kind hat, dem man es nicht erklären kann. Donal spielt im Wasser, und bald wird er sehr vertraut mit den Eigenschaften des Wassers sein und bereit sein, unterzutauchen, wie die Kinder das tun nach der Schule oder nach der Arbeit im Reisfeld, wenn sie zum Fluss herunterstürmen und ohne Aufsicht von Erwachsenen schwimmen gehen. Sie sind alle vertraut mit Wasser und sie gehen so weit hinein, wie ihre eigenen Fähigkeiten es zulassen. Niemand erzählt ihnen, wie weit sie gehen dürfen. Wenn ständig Erwachsene dabei sind und sie beaufsichtigen und maßregeln, dann überlassen sie es irgendwann auch den Erwachsenen, ihre Sicherheit zu gewährleisten. Das liegt in unserer Natur, wenn sich jemand anders um uns kümmert, dann kümmern wir uns selbst nicht mehr. Wenn sie wissen, dass sie für ihre eigene Sicherheit zuständig sind, dann aktivieren sie ihre eigenen Talente zur Selbsterhaltung und begeben sich nicht in Situationen, die außer Kontrolle geraten können.

Dies ist die Umgebung, die Kinder erwarten, Erwachsenen-zentriert. Die Kinder erwarten nicht, dass die Erwachsenen wegen der Kinder da sind. Die Erwachsenen sind auf ihre Arbeit konzentriert und die Kinder auf sich selbst oder was immer gerade interessant erscheint. Es ist mir jetzt sehr klar, wenn die Erwachsenen Kind-zentriert sind und auf die Stichworte von den Kindern warten, dann beginnt der Machtkampf, wo das Kind nicht sicher ist, ob es die Eltern kontrollieren kann, aber es muss es probieren und sich versichern, dass der Erwachsene sicher auf seinen Beinen steht und verlässlich weiß, was er will, ohne Lenkung durch das Kind. Kein Kind fühlt sich sicher bei einem Erwachsenen, der sich von einem Zweijährigen lenken lässt. Wenn Du versuchst, den Forderungen des Kindes zu gehorchen und immer weiter getrieben wirst, und das Kind sagt „Ich will das, und jetzt will ich noch das“ und Du folgst immer weiter, wirst Du überall beobachten, dass das Kind immer wütender und wütender wird, nicht immer vergnügter, und wenn Du damit aufhörst, dann werden sie heiter und ruhig.

Niemand sagt diesen Kindern, sie sollen zuschauen, wenn Vater oder Mutter dies oder jenes tun. Die Eltern wissen, dass die Kinder zuschauen werden und im Laufe der Zeit alles nachmachen und schließlich helfen. Wir hier glauben das nicht.

„Ich bin erstaunt, dass der Vater kein Problem damit zu haben scheint, dass sein Sohn so nah bei seiner Arbeit dabei ist, insbesondere, wenn er so potenziell gefährliche Waffen und Werkzeuge benutzt, Messer, Schleifer, Feuer…“

Der kleine Niki war schon so lange dabei, dass es ihm wie eine Ewigkeit vorkommen mag; er weiß, was was ist, und sein Vater weiß, dass er weiß, er hat keine Angst. Das hier ist Teil seiner täglichen Erfahrung seit einer Zeitspanne, die ihm vielleicht wie tausend Jahre vorkommt.

„Diese Art Vertrauen hatte ich in meiner Kindheit ganz sicher nicht.“

Wie hat das Dich beeinflusst?

„Ich bin neurotisch.“

Naja, wie wir alle. Unsere Eltern vertrauen uns nicht. Und aufgrund unserer Natur glauben wir so sehr an ihre Autorität, dass wir uns dann auch nicht mehr selbst vertrauen. Und das ist ja beinahe die Definition von Neurose, oder? Dieses Gefühl, dass wir nicht sicher sein können, dass wir in Ordnung sind, kein Vertauen in unser eigenes Urteilsvermögen haben, in unser eigenes Gutsein. Das ist das Problem jedes einzelnen Klienten, den ich habe, von jedem meiner Freunde, mich selbst eingeschlossen – wenn ich mich selbst als Freundin meiner selbst bezeichnen kann, was sehr oft nicht der Fall ist, aus demselben Grund.

„Ich kann mich an keine Gelegenheit als Kind erinnern, wo ich so lange Zeit irgendwo sein konnte, ohne dass jemand mich korrigierte, kontrollierte oder sagte „Hör auf damit!“ oder „mach´ es anders, mach´ es so und so!“, und ständig meine eigene Natürlichkeit in eine bestimmte Richtung umlenkte. In diesem Film ist das so ganz anders“

Das kann man wohl sagen. Sie vertrauen der menschlichen Natur, wir vertrauen ihr nicht. Vielen von uns ist das wohl nicht bewusst, aber das geht zurück auf dieses jüdisch-christliche Konzept der Ursünde, dass wir schlecht geboren wurden. Und die Aufgabe von allen, die mit Babies und Kindern zu tun haben ist, sie zu ändern, zu korrigieren, zu disziplinieren und sozialisieren, wie auch immer man es nennt, und die Balinesen glauben, dass das Baby gut und richtig ist; daher ist ihre Grundlage, auf der sie Kinder betrachten, völlig anders. Sie schauen nicht nach dem, was zu korrigieren ist, oder was sie ihm beibringen müssen. Sie wissen, dass das Kind lernt. Sie vertrauen darauf. Dann lassen sie die Natur einfach ihren Lauf nehmen. Natürlich ist das viel leichter so. Keine Quälerei mit dem Konflikt zwischen Eltern und Kindern, der für uns so derart schmerzhaft ist, für ein ganzes Leben lang. Man weiß nicht, wem es mehr wehtut, Eltern oder Kindern. Die Verachtung, die jede Generation für die vorherige Generation hat, sowie für die kommende Generation, das ist wirklich tragisch. In dieser balinesischen Familie ist nichts davon. Hier ist jemand, vielleicht seine Großmutter oder jemand in ähnlicher Stellung, und zwischen den beiden gibt es auch keinen Konflikt. Da sind Vertrauen und Respekt, das grundlegende Richtigsein von jedem wir vorausgesetzt. Es ist schade, dass wir das Gefühl haben, dass wir nicht mit unseren alternden Eltern leben können, weil die gewöhnlich hoffnungslos überzogene emotionale Forderungen an uns stellen, meistens übrig geblieben aus ihrer eigenen entbehrungsreichen Kindheit, die wieder hervorkommen, wenn sie den Frühling des Lebens hinter sich lassen, älter, hilfloser und verletzlicher werden. Vor einem Hintergrund wie hier in Bali oder bei den Yequana, kommen alle sehr gut miteinander aus; sie haben keine Konflikte und sind ganz froh, mit den Älteren zusammen zu leben; niemand zieht oder schiebt oder versucht, etwas zu beweisen.

Niemand bemüht sich darum, Nikis Aufmerksamkeit bei der Schmiedearbeit zu halten. Es ist allen klar, dass er sich dafür interessiert, wann immer ihm danach ist. Den Rest der Zeit erkundet er andere Teile der Welt. Hier hat der Assistent wohl den Eindruck, dass Donal seine Mutter braucht und reicht ihn herüber. Die Mutter lenkt ihn von dem Negativen ab, was immer in seinem kleinen Verstand gerade vor sich ging. Sie zeigt ihm etwas anderes, wechselt das Thema, aber sagt ihm nicht „Sei nicht so, hör auf!“ Sie lenkt seine Aufmerksamkeit auf etwas Befriedigenderes.

Hier findet etwas Körperpflege statt zwischen Mutter und Tochter, offenbar reinigen sie sich gegenseitig die Ohren. Alle sind sehr vertraut und nah miteinander. Die Beziehung ist die ganze Zeit so. Niemand will Ruhe vor den anderen haben oder Unabhängigkeit, weil es keinerlei Zwang gibt. Man hat also die Vorteile einer Mutter, ohne das Gefühl zu haben, sich von ihr freikämpfen zu müssen. Denn jeder war die ganze Zeit so frei, wie es nur ging, und die Mutter erlaubt jedem, so frei zu sein, wie es nur geht. Sie versucht nicht, ihre eigenen emotionalen Bedürfnisse zu erfüllen, indem sie ihr Kind dazu bringt, so oder so zu sein.

Der kleine Niki experimentiert damit, was man mit dieser Schleifrolle anstellen kann. Jetzt erforscht er die Möglichkeiten der Schleifkurbel. Aha, so klemmt es fest. Ah, mit der Kurbel kann ich das Schleifrad drehen! Interessant, man muss das Objekt aber genau richtig halten. Oh, noch so ein Ding, das sich dreht!

„Er hat da was abgeschnitten!“

Ja, er hat geschnitten mit etwas, das aussieht wie eine gefährliche Klinge von einem Hackbeil oder sowas, was auf dem Boden herumlag, aber das scheint niemanden zu beunruhigen. Jetzt erinnert er sich, dass sich diese Rolle effektiver drehen lässt, wenn er die Kurbel benutzt. Er probiert verschiedene Varianten aus und schaut, welche funktionieren. Man muss es also konzentriert in der Mitte halten, sonst klemmt es fest.

Jetzt probiert er aus, was passiert, wenn er den Hund tritt, und er findet heraus, dass der dann nach seinem Knöchel schnappt. Hm, vielleicht ist es sicherer, ihn weniger hart zu treten, und von hinten. Mal sehen, ob er beißt. Das Leben ist eine Abfolge wissenschaftlicher Experimente. Gut zu wissen, dass Mami da ist, eine kleine Umarmung um sicher zu gehen, dass die Heimatbasis verlässlich ist, und dann wieder hinaus in die Welt und forschen. Anders als wir, die wieder und wieder zurückkehren, für drei bis sechs Jahrzehnte unseres Lebens, auf der Suche nach einer verlässlichen Heimatbasis, in der wir uns sicher fühlen und von der aus wir in die Welt hinaus ziehen können, mit Vertrauen.

Er geht zurück zum Haus, wo die Kinder immer noch mit den Dominokarten spielen. Mal sehen, was es da Interessantes gibt. Da ist wieder die kleine Bank. Und so geht das ganze Leben weiter.

Keiner glaubt, dass Kinder in diesem Alter Aufsicht brauchen. Nach der Schule spielen sie einfach. Neben Dobal sehen wir Mijing mit dem Baby der Holzschnitzer aus dem nächsten Dorf, Dewa. Dieses Baby ist genau 18 Monate alt, was man daran erkennt, dass sein Kopf gerade von einem Priester kahlgeschoren wurde, im Rahmen der religiösen Zeremonie für 18 Monate alte Kinder.

Hier ist Dewa, Sohn der Holzschnitzer, die für den Touristenmarkt und für den Export arbeiten. Er spricht noch nicht, läuft aber schon. Aber er befindet sich im Umfeld der Holzschnitzerei, wobei wohl von ihm erwartet wird, einst den selben Beruf zu ergreifen. Seine Eltern passen nicht allzu intensiv auf, während er hier mit dem Meißel hantiert. Er hat auch einen Holzhammer, einen Holzblock und ein geschnitztes Tier vor sich, im Arbeitsumfeld seiner Familie.

Gerade jetzt studiert er die Möglichkeiten, mit dem Meißel seine Füße abzusägen.

(„Das ist was ganz anderes als mit kleinen bunten Klötzen zu spielen.“)

Ja, dies sind die realen Dinge, mit denen er umgehen wird, falls er ein Holzschnitzer wird. Das ist nichts, was für Erwachsene irrelevant ist, wie Bauklötze, nur Spielzeug.

„Vorhin habe ich gesehen, wie er mit einigen Gegenständen recht rau umging. Wie würden sie damit umgehen, wenn der Gegenstand nicht so stabil wäre, sondern zerbrechlich?“

Ich bin nicht ganz sicher. Wahrscheinlich würden sie die Objekte, die bereits verkaufsfertig sind, nicht in Reichweite des Babies plazieren. Vorhin haben wir Niki und Donal gesehen, wie sie auf Objekte kräftig einschlugen, und ich ging davon aus, dass die wohl in irgendeiner Weise defekt waren, so dass es okay war, darauf einzuschlagen. Diese Familie fertigt diese balinesischen Hängebauchschweine, in dieser typischen Position. Beide Eltern stellen diese her. Ein paar davon sind wohl defekt und das Kind darf sie benutzen, ohne ihnen all zu viel Respekt entgegen zu bringen, bis er alt genug ist, zu verstehen. Seine Mutter hat nichts dagegen, wenn ihre Arbeit unterbrochen wird für Dewas Lunch.

Die Mutter scheint keinerlei Gestik zu gebrauchen, um ihn zu lenken oder zu korrigieren, irgendwie zu kontrollieren.

Sie haben solche eine harmonische körperliche Interaktion. Er ist erst 18 Monate alt, aber Du siehst sie Jahr für Jahr in dieser Vertrautheit, dem Vertrauen in die Körper ihrer Familie, wo sie sich anlehnen können oder vom selben Teller essen, zusammen sitzen, in harmonischer Beziehung, durch welche sie oftmals fast wie ein einziger Organismus agieren. Das sehen wir in unserer Gesellschaft wirklich kaum.

Er experimentiert mit den Möglichkeiten des Holzhammers.

Ebenso wie man Niki und Donal in der Schmiede mit den Werkzeugen und dem Feuer vertraut, hat Dewa das ganze Vertrauen mit dem Meißel und dem Holzhammer; man könnte meinen, dass er sich damit verletzen könnte, aber man erwartet nicht, dass er das tut. Er macht sich mit diesen Dingen vertraut, ohne den Eindruck, dass jemand anders sich um seine Sicherheit kümmert. Er kümmert sich selbst um seine Sicherheit. Alles, was er untersucht, wird er also mit dem Instinkt behandeln, den Kinder haben, dem wir nicht vertrauen, nämlich sich sicher zu verhalten.

Einem Kind zu vertrauen, mit Dingen zu spielen, die eine Verletzungsgefahr bergen, oder in der Nähe von Feuer, mit Messern usw. sieht für uns sehr schwierig aus, weil wir einfach nicht sicher sein können, dass das Kind sich nicht verletzt. Was ich den Menschen rate, ist, für den Anfang den Kindern ein bisschen mehr zu erlauben, so dass die Eltern gerade anfangen, sich etwas unwohl zu fühlen. Später vielleicht dann etwas mehr, auf der Grundlage der Erfahrungen mit den Fähigkeiten des Kindes. Wenn es geht, sollte das Kind auch nicht sehen, dass man es beobachtet. Denn wenn man dem Kind mit Besorgnis zuschaut, dann fühlt es, dass ihm nicht vertraut wird, und wieder übernimmt es die Einstellung der Eltern und vertraut sich selbst nicht. Aber wenn Du dem Kind ein bisschen mehr erlaubst, dann wieder etwas mehr, basierend auf der Erfahrung, usw., das ist wirklich alles, was ich empfehle, dann wirst Du ziemlich überrascht sein, herauszufinden, wie fähig so ein Kind sein kann, wenn Du ihm vertraust. Und natürlich kann das Kind auf sich selbst die ganze Zeit aufpassen, was Du nicht kannst, und auch sonst niemand. Demnach ist es gut für das Kind, das Gefühl zu haben, dass es für seine eigene Sicherheit verantwortlich ist.

Dieses Signal bedeutet wohl, dass das Baby pinkeln muss, und der Vater sagt ihm, er soll zur Kante laufen und nicht im Haus pinkeln. Das tut er jetzt auch, außer, naja, vielleicht nur ein bisschen im Haus.

Der Vater gibt Hinweise und Wegweiser, aber er besteht nicht darauf, dass das Kind es genau so ausführt. Er gibt Anweisungen, denen das Kind gehorchen kann oder auch nicht, ganz frei, ganz in dem Vertrauen, dass das Kind sozial sein will, wissen will, wie man es macht und es dann auch so tun will, und wenn es heranwächst, wird es mehr und mehr das tun, was das Übliche ist, soweit seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten es erlauben. Sie haben keine Erfahrungen mit Kindern, die ihrer Familie nicht nachfolgen wollen. Wir dagegen haben fast nur Kinder, die ihrer Familie nicht nachfolgen wollen. Wenn es richtig behandelt wird, wird ein Kind durch nichts glücklicher als durch den Wunsch, in die Fußstapfen der Familie zu treten, und mit ihr zusammen zu sein.

„Als Du das sagtest, fiel mir ein, das es für die Eltern eine große Freiheit geben muss, um ihren Kindern so viel Raum geben zu können und um nicht ständig besorgt um die Kinder zu sein.“

Meinst Du den materiellen Raum, wo es möglichst wenig Gefahren gibt?

„Sie scheinen dem Kind zu erlauben, dass es sich aussucht, was es tun will, und scheinen ihm zu vertrauen, dass es sich von Gefahr und größeren Problemen fernhält.“

Ja, das tun sie, denn wie die Yequana haben sie die Erfahrung, dass Kinder auf sich selbst aufpassen und dass sie sozial sein wollen. Sie wachsen in dieser Richtung auf. Sie wollen herausfinden, was das Übliche ist, sie finden es heraus, sie schauen zu, sie lernen Dinge, sie experimentieren mit Dingen, wie wir es bei den älteren Kindern gesehen haben, experimentieren mit verschiedenen Objekten und Menschen. Ihr Impuls von innen ist, das allgemein Übliche zu lernen, was unsere Kultur tut, und das auch zu tun, sich nicht dagegen aufzulehnen. Aber wenn die Autoritätsfiguren, die Eltern, ständig mit der Haltung dastehen, dass die Kinder etwas Gegensätzliches tun, etwas Unartiges, was immer es ist, das sogar erwarten, und ihnen das zeigen, z.B. indem sie ihnen vorschreiben, es nicht zu tun, was dann passiert, ist, dass die Kinder die Erwartungen der Eltern erfüllen, weil sie so tief sozial sind, dass sie die Erwartungen der Eltern ganz automatisch erfüllen – was bedeutet, dass sie ein Spiel der Auseinandersetzung spielen. Wenn die Mutter etwa mit dem Kind umhergeht und ständig sagt „Bleib bei mir, bleib bei mir! Geh nicht weg, geh nicht weg, renn nicht weg, bleib bei mir!“, dann erwartet sie offensichtlich, dass das Kind wegrennen will. Das Kind versteht intuitiv die Spielregeln und fängt an, wegzurennen, die Mutter rennt hinterher, und das ganze ist extrem uneffektiv. Wenn sie aber einfach weitergeht oder sagt „komm mit“ und dann weitergeht, in einem Tonfall und in einer Art und Weise, die zeigt, dass sie völliges Vertrauen hat, dass das Kind folgen will und es tun wird, dann funktioniert es. Und es funktioniert auf Grund der selben Impulse im Kind, nämlich ihre Erwartungen zu erfüllen.

Hier sehen wir keinerlei Furcht oder Konflikt, wie wir sie in unseren schwer leidenden Eltern sehen, vor allem darüber, ob sie das richtige tun, ob sie dem Kind die richtige Botschaft vermitteln, was falsch ist und wie man „richtig“ ist. Wenn Du von Anfang an weißt, dass sie darauf drängen, das richtige zu tun, dann machst Du Dir keine Sorgen. Du weißt, dass sie das richtige tun werden. Du weißt, wenn sie etwas tun, was unbequem ist, etwas kaputtmachen oder etwas verschütten, dann bist Du Dir ganz klar, dass das ein Unfall ist, dass sie das nicht mit Absicht tun. Und lasse sie wissen, dass ihre Handlung nicht das Erwünschte war, und dass Du und das Kind traurig oder wütend darüber seid, aber nicht, dass das Kind Schlechtigkeit in sich hat, die das verursacht hat. Dass nur die Tinte auf dem Teppich oder was auch immer nicht gut ist und dass wir das nicht mögen, dass es uns traurig oder wütend macht oder beides. Worüber ich rede ist, vorauszusetzen, dass ein Kind sozial ist, sozial geboren, aus ihrer Natur. In diesem Moment sieht er nicht so besonders sozial aus, aber das währt nicht lange.

Die Eltern kultivieren eine Angewohnheit von Fröhlichkeit in ihrem Kind. Wenn es darin mal einen kleinen Bruch gibt oder ein wenig Missmut, ein paar Tränen, wie wir gesehen haben, dann richten die Eltern die Aufmerksamkeit auf etwas Erfreuliches, wechseln das Thema. Sie unterdrücken es nicht, sondern lenken ab, so dass das Kind weitgehend in einem gewohnten Zustand von Fröhlichkeit bleibt, im freien Fluss des Richtigseins.

Es braucht wohl Übung. Man muss es erst einmal wirklich sehen, und dann proben und üben. Ein Ton von Überzeugung, eine überzeugte Art, und die Überzeugung wird schließlich folgen. Dann werden uns, denke ich, weit glücklichere Generationen nach nachfolgen, ohne schreckliche, schmerzliche Klüfte zwischen den Generationen. Es geht um Vertrauen und Respekt gegenüber unserer eigenen Natur.


Synchronübersetzung von Alexander Meneikis

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Alexander!!!